Drinnen und Draußen: In diesen Tagen ist so vieles anders. ‚Drinnen‘ war doch eigentlich immer das Wort für Zuhause-Sein. ‚Schutz und Schirm vor allem Argen‘: so lautet der alte Segen zur Konfirmation. Jetzt wird das Drinnen eng. Man darf es fast gar nicht mehr verlassen. Es schließt ein - und aus. Da wird der heimliche Gang in eine leere Kirche schon fast zum Ausbruchsversuch. Hier ist das ganz andere. Der ganz Andere: der Gott, bei dem beides ist, Freiheit und Zuflucht.
Passionszeit. Fünfter Sonntag, Judika: der Sonntag, der mit dem Richten zu tun hat. Sie haben den gefangenen und geschlagenen Jesus damals vor die Tore der Stadt Jerusalem geschleppt. Golgatha, die HinRichtungsstätte, lag draußen. Lasst uns zu ihm hingehen, sagt der Schreiber des Hebräerbriefes. Ihm nah sein. Mit ihm ertragen, dass man ihn ausgestoßen hat. Dass er in Schmach und Schande starb, soll und wird nicht das letzte Wort, das letzte Urteil über sein Leben sein.
Das gilt für Jesus. Und für uns. Was wir hier erleben und erleiden; was wir uns selbst, anderen und Gott schuldig bleiben, ist nicht das, was bleibt. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir: Diese Stadt und alle Städte und Stätten des Menschenlebens: in ihnen leben Schönheit und Hoffnung und Liebe, aber auch Gewalt und Ausgrenzung und Einsamkeit. Sie sind nicht das, was auf uns wartet.
Die zukünftige Stadt wird anders sein. Am Ende aller Tage, ja. Aber auch schon hier und vielleicht nicht heute, aber morgen und übermorgen. Wir erleben jetzt, was sich alles ändern kann. In atemberaubender Geschwindigkeit. So schnell, dass uns die Luft ausgeht, wie den schwer an Corona Erkrankten. - Beten wir für sie, die nach Luft ringen!!! - Aber es kann sich auch ganz viel zum Besseren und Guten ändern. Er, Jesus, trug das Kreuz vor die Tore der Stadt. Ein Marterinstrument. Aber denen, die ihm folgten, ist das Kreuz zu einem Baum des Lebens geworden. Kreuze aus dem Mittelalter haben mitunter zwei Seiten und zwei Botschaften: eine Vorderseite, die dem Tod gehört, – und eine Rückseite voller Knospen und Blüten, die auf das Leben hinweist.
Diese Kirche, in der ich sitze: auf dem Altar steht ein Kreuz. Wie in allen Kirchen. Aber Jesus Christus ist nicht in diesem Raum gefangen und eingesperrt. Hier werden Befreiungs- und Lebensgeschichten erzählt. Hier wird der Horizont weit. Hier beginnt der Freiraum, den wir bei Gott haben.
Als ich in der Kirche saß, fiel mir ein Gedicht ein, das ich lange vergessen hatte. Es blubberte an die Oberfläche. Es trägt die Überschrift „Trost“ und stammt von Manfred Hausmann. Hier einige Verse daraus:
Ich möchte eine alte Kirche sein
von Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.
Du senkst den Kopf, die große Tür fällt zu.
Nun sind wir ganz alleine, ich und du.
Ich kühle dein Gesicht mit leisem Hauch,
ich hülle dich in meinen Frieden auch.
Ich fange mit der Orgel an zu singen.
Nicht weinen, nicht die Hände heimlich ringen!
Hier hinten, wo die beiden Kerzen sind,
komm, setzt dich hin, du liebes Menschenkind.
Ob Glück, ob Unglück: alles trägt sich schwer.
Du bist geborgen hier, was willst du mehr?
Vom Orgelfuß die Engel sehn dir zu
und hüllen dich mit Flötenspiel zur Ruh.
Ich möchte eine alte Kirche sein
von Stille, Dämmerung und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen
Aus einem niederländischen Passionslied:
EG 97, 1-3
Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht,
ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Wollen wir Gott bitten, dass auf unsrer Fahrt
Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht.
Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht.
Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehen.
Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.
Wir beten miteinander und füreinander.
Gott.
Wir sind verbunden. Als Menschen mit Menschen.
Als Glaubende miteinander. Als Glaubende und Menschen mit Dir.
Wir bringen Dir unsere Gedanken, unser Danken und unser Sorgen.
Wir denken an alle, die wir lieben.
Was tun sie gerade.
Wir denken an alle, die in diesen Zeiten noch einsamer sind.
Wir denken an alle Kranken.
an die überall auf der Welt, die nach Luft ringen.
An die, die nicht mehr versorgt werden können,
weil es an allem fehlt.
An die in Kliniken und Altersheimen,
die nicht besucht werden können.
An die, die alt sind. Wie wir.
Wir denken an alle, die helfen, heilen und pflegen.
Sie setzen sich für andere ein.
Sie opfern Zeit, Gesundheit und oft das eigene Leben.
Wir denken an die, die uns mit Lebensmitteln versorgen.
Die Lastwagenfahrer.
Die Arbeitenden in den Supermärkten und Geschäften.
Wir denken an die, die Verantwortung tragen
und Entscheidungen treffen.
Wir denken an die, die nach den Nachbarn
schauen und helfen. Die sich um Kinder kümmern.
Gott, danke für alles. Bleib bei uns.
Mit Jesu Worten rufen wir zu dir:
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen
Segen
Ich breite meine offenen Hände aus und spreche dir zu:
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir
und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir + Frieden.
Amen
Ich gebe Ihnen noch eine Liedzeile mit auf den Weg:
Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
dass das Leben siegt.
Ich lösche die Kerze und sage:
Bleib gesund. Bleib behütet!
Im Namen Jesu. Amen
Hannover-Burg, 26. März 2020
Oda-Gebbine Holze-Stäblein